Ingvar AmbjörnsenIngvar Ambjörnsen


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Zu Tisch mit Elling


Norwegischer Smørbrødteller – Gewinner und Verlierer

Ich möchte mich nun einem Thema zuwenden, auf dem möglicherweise ein winzigkleines Tabu lastet. Es ist es etwas, worüber die wenigsten reden. Ja, wenn ich ganz ehrlich sein soll, habe ich überhaupt nie gehört, dass dieses Phänomen erwähnt worden wäre. Nicht mit einem einzigen Wort. Und das, obwohl jeder erwachsene Mensch in Norwegen sich mehrmals pro Jahr damit befassen muss. Und zwar ein Leben lang.

Es geht mir hier um den norwegischen Smørbrødteller.

Und da möchte ich sofort einen Sprung zurück in meine eigene Kindheit machen. Zu irgendeinem beliebigen Samstagabend. An den anderen Wochentagen schmieren Mutter und ich uns morgens und abends unsere Brote selbst. Aber am Samstagabend werden andere Saiten aufgezogen. Dann gehört der Teller mit den fertigen belegten Broten auf den Tisch. Nicht auf den Küchentisch, sondern auf den Wohnzimmertisch. Und damit fertig. Seit ich ein kleiner Junge war und bis in meine dreißiger Jahre hinein (als Mutter mich aus Todesgründen verlässt) wiederholt sich dieses Ritual jeden einzelnen Samstag. Wenn die Uhr sechs schlägt, wird der Smørbrødteller ins Wohnzimmer getragen, zusammen mit einer Kanne guten Tees.
„Und jetzt musst zu zugreifen, mein Junge!“

Und wer sich nun mit den belegten Broten vollstopft, das bin ich. Hier gibt es zum Beispiel lauwarmes Rührei mit Schnittlauch. Vielleicht angerichtet mit einer Prise Räucherlachs, oder auch Salami. Fischpudding mit Krabben und Mayonnaise. Vielleicht sogar ein Frikadellenbrot mit Zwiebeln. Oder gekochten Schinken mit Spargel. Ei mit Sardellen. Aber es gibt auch eine oder zwei halbe Schnitten mit Gouda oder italienischem Salat.
Warum sage ich das so: „Aber es gibt auch …“? Weil genau diese halben Graubrot- oder Weißbrotscheiben am Ende immer noch auf dem Teller liegen. Nachdem Mutter und ich uns sattgegessen haben. Es passiert unweigerlich. Jedes einzelne Mal. Eine oder mehrere Smørbrødeinheiten können übrigbleiben, das variiert ein wenig. Aber der Belag dieser Reste ist immer leicht vorhersagbar. Es bleibt zum Beispiel niemals ein Brot mit Rührei übrig. Oder eins mit Fischpudding und Krabben. Ganz zu schweigen von dem warmen Frikadellenbrot mit Gewürzgurke und goldenen Zwiebeln. Das ist unvorstellbar. Das kann niemals passieren. Der Gouda dagegen ist ein sicherer Verlierer. Wie auch der italienische Salat von DenJa.

Nun kann man natürlich fragen: Sind nicht Gouda und italienischer Salat ausgezeichnete Brotbeläge? Doch. Unbedingt. An einem ganz normalen Werktag kann sogar der italienische Salat aus Vestfold einen Hauch Luxus bringen. Nur nicht heute. Nur nicht als Teil dieser fertiggeschmierten Blütenlese. Hier hat er nämlich keine Chance. Und Gouda? Wunderbar. Da liegt er vielleicht, verziert mit einem Stückchen Paprika. An einem Dienstag ein sicherer Sieger. An einem Samstag aber ein ebenso sicherer Verlierer. Es hilft alles nichts. Es ändert sich nie. Wenn Mutter und ich satt sind, liegt immer mindestens eins von diesen Käse- oder Salatbroten auf dem Teller. Das ist ein Naturgesetz.

Ja, es ist ein Naturgesetz, denn es wiederholt sich, egal, wohin das Leben uns später führt. Überall, wo fertigbelegte Brote angeboten werden, sei es nun bei Besprechungen, in Institutionen oder in geselliger Runde: Alle Anwesenden, Gastgeber wie Gäste, wissen genau, welche Brote oder Brötchenhälften am Ende übrig sein werden, sie wissen das in der Sekunde, in der der Teller auf dem Tisch erscheint. Zwei halbe mit Käse. Eins mit Cervelatwurst. Oder also: der ewige italienische Salat. Die zur Niederlage verdammten Brote können natürlich von Familie zu Familie variieren, oder auch von Land zu Land. Aber das Verliererbrot erkennt man immer, sowie man es sieht. Es ändert sich nie. Und weder im Norden des Landes noch im Süden oder Osten, werden Eier und Frikadellen zurück in die Küche gebracht. Niemals. Unter gar keinen Umständen. Dagegen liegen im ganzen Land die Käsebrote noch immer schwitzend auf dem Teller, wenn alle satt sind.

Nun kann man natürlich fragen: Warum lässt der Gastgeber diese beiden Brote mit Käse und Paprika nicht einfach weg? Warum wird der fertige Salat überhaupt eingekauft? Warum um alles in der Welt legt Mutter nicht einfach noch ein paar Eischeiben dazu? Noch ein Stück mit Fischpudding, Krabben und Mayonnaise? Weil sie sich das nicht leisten kann? Nein. Es hat absolut nichts knapper Kasse oder so zu tun. Aber womit denn dann?

Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung. Aber es muss etwas grundlegend Psychisches sein, da sich dieses Phänomen in den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten beobachten lässt, und das ein Jahrzehnt nach dem anderen, Generation um Generation. Dasselbe Gesetz gilt übrigens auch, wenn die Kuchenplatte aufgetischt wird. Achten Sie einmal in der holden Weihnachtszeit darauf. Jedes Jahr werden genau die gleichen Kuchensorten wieder hinausgetragen, wenn alles andere aufgegessen worden ist, und das wiederholt sich Jahr für Jahr. Warum also nicht einfach diese blöden kleinen Teilchen weglassen, die ohnehin nur nach Zucker und Mehl schmecken? Warum nicht lieber die Produktion von leckeren Makronen mit Schokolade verdoppeln?

Wir wissen es nicht. Aber warum bringen wir diese Frage nicht zur Sprache, wenn die ganze Familie sich um den Tisch versammelt hat? Oder ist es ganz einfach ein Thema, über das wir nicht sprechen können? Vielleicht ist es ein Trauma, das wir seit der schwedischen Herrschaft mit uns herumschleppen? Ich weiß nur eins sicher, nämlich, dass ich bitter bereue, die Sache nicht zu Mutters Lebzeiten geklärt zu haben. Jetzt ist es leider zu spät. Denken Sie mal darüber nach!

Denken Sie auch darüber nach, dass man alles unter verschiedenen Blickwinkeln betrachten kann. Es ist durchaus nicht nötig, dass die Person, die vielleicht fünfhundert halbe Brötchen belegt hat, auf irgendeine Weise kritisiert wird. Wir sollten das alles mit einer Prise Humor angehen.



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