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Zu Tisch mit Elling
Butter oder Margarine?
Vom ersten Augenblick an war ich ein Mann der Margarine. Zu Hause stand niemals Butter auf dem Tisch. Eigentlich hatte ja meine Mutter diese Entscheidung getroffen, und natürlich spielten dabei die Finanzen eine Rolle. Die junge Witwe mit ihrem Kind musste sicher frühzeitig lernen, Kronen und Öre im Griff zu behalten. Butter war teuer. Melange-Margarine war viel billiger und außerdem vielseitiger anwendbar bei den unterschiedlichen Küchenaktivitäten der geschäftigen Hausfrau. Gebäck. Soßen. Unterlage für zwei Sorten Aufschnitt. Damit wuchs ich mit dem milden Geschmack der Margarine auf Brot auf, und ich habe seither niemals ein Bedürfnis verspürt, das zu ändern.
Ich möchte ehrlich sein. Die Entscheidung für Margarine hatte wenig und nichts zu tun mit meiner naturgegebenen Klassenzuhörigkeit. Wir hatten etwas weniger im Portemonnaie als die meisten Nachbarn. Das ist eine Tatsache. Dass die erste Margarinesorte im Jahre 1869 gewissermaßen auf Bestellung von Kaiser Napoleon III erfunden wurde, war in dieser Rechnung nie von irgendeiner Bedeutung. Obwohl ich im Laufe der Jahre bisweilen in Diskussionen über dieses Thema das Gegenteil behauptet habe. Denn für einen eingeschworenen Sozialdemokraten kann es natürlich naheliegen, auf diese hervorragende Maßnahme hinzuweisen, die Napoleon III in die Wege geleitet hat, um die stetig schlimmer werdende Unterernährung der Stadtbevölkerung zu beheben. Aber die Wahrheit ist die, dass ich mich immer an Margarine gehalten habe, weil sie mir eben besser schmeckt als Butter.

Es gab jedoch eine überaus irritierende Ausnahme von dieser Regel, die im Laufe der Jahre zu bitteren Streitigkeiten führte, und zu dem, was ich als überaus unnötige Auseinandersetzungen und andauernde Feindseligkeit bezeichnen würde. Meine Mutter hatte nämlich Freunde. Na gut, würde der Durchschnittsnorweger jetzt wohl sagen. Wie schön. Sie war doch allein mit ihrem kleinen Sohn. Und ich stimme hier aus vollem Herzen zu, als der, der ich heute eben bin. Ein erwachsener Mann von bald sechzig, ausgeglichen und meistens guter Laune, im Besitz eines tadellosen Sinnes für Gerechtigkeit. Was hatte meine Mutter für ein Glück – sie hatte Freunde. Ihr kleiner Sohn dagegen sah diese Angelegenheit dann doch etwas anders. Vaterlos, wie er war, wollte er natürlich seine Mutter für sich haben. War das eine verständliche Forderung? Ja. Ich meine, schon. Ich finde es nicht ganz unmöglich, die Sache aus den Augen des kleinen Jungen zu betrachten.
Was das hier mit Butter und Margarine zu tun hat? Wappnen Sie sich mit Geduld!
Es war nicht ihre Freundschaft zu den Fremden, die mich störte. Doch. Das war es wohl auch. Aber vor allem war es das Problem, dass die Freundschaft diese Menschen bisweilen zu uns nach Hause führte. Zu Mutter und mir. In unsere Intimsphäre. Es kam nicht so häufig vor, aber gerade deshalb hatten diese Besuche eine so starke Auswirkung auf Gleichgewicht und Wohlbefinden des kleinen Jungen. Ich war der Ansicht, dass Mutter mich im Stich ließ, wenn sich ihre Aufmerksamkeit auf andere richtete, vor allem, wenn das in den Räumlichkeiten geschah, in denen wir unseren Alltag verbrachten.
Aber Mutter ließ mich auch auf einer anderen Ebene im Stich, und zeigen Sie mir das Kind, das die Falschheit der Erwachsenen nicht sofort durchschaut, wenn die ihren Ausdruck findet wie im Fall meiner Mutter. Denn während wir aus finanziellen und geschmacklichen Gründen im Alltag, ja, und auch an Fest- und Feiertagen Margarine aßen, wurde diese Praxis auf den Kopf gestellt, sowie Fremde den Plan betraten. Dann wurden Weiß- und Graubrotscheiben nämlich mit Butter bestrichen. Guter Butter, wie man sagte. Dann wurde die Margarine verleugnet, und obwohl Mutter doch wie ich den Geschmack von Melange-Margarine vorzog. Sie gab vor, ein gutes Stück höher auf der gesellschaftlichen Rangleiter zu stehen, als der, auf die sie gehörte. Das bemerkt ein empfindsames Kind, und dieses Kind sieht dann voller Abscheu zu, wie dieses gesellschaftliche Zerrspiel sich Jahr um Jahr wiederholt.

In der Regel wurde versucht, diese entlarvenden Anklagereden durch einen Scherz abzutun. Manchmal wurde auch mit Wut reagiert. Sie wussten ja nicht, wie wütend ich werden konnte. Ich konnte sehr, sehr wütend werden. Ich konnte Gegenstände an die Wand fliegen lassen. Ich konnte mit Türen knallen. Ich konnte zum Angriff übergehen.
Und das alles nur wegen einer Bagatelle, würden manche wohl sagen. Aber für mich ging es um das Prinzip. Darum, die offenkundige Heuchelei in Mutters Projekt aufzuzeigen. Die Lüge zu entlarven, wenn die Schnittchen aufgetischt wurden. Vor aller Ohren. Es hätte keinen Sinn gehabt, das „in aller Stille“ zu besprechen, nachdem die Gäste gegangen waren. Das hatte ich ja ohnehin vor.
Ob sie sich mit den Jahren geändert hat? Nein, nie. Wenn die Türklingel ging, und das tat sie, wenn der Gast vor der Tür stand, ja, dann wurde sofort die Butter ausgepackt. Vergessen waren Napoleon III und Melange-Margarine.
Zum Glück konnten wir darüber lachen, als es bei ihr auf das Ende zuging. Ich freue mich, das sagen zu können. Es wäre traurig gewesen, wenn ihr entsetzlicher Trotz noch zwischen uns gestanden hätte, als der Sensenmann anklopfte.
PS: Was ist eigentlich los mit dem Rentiergeweih auf der bekannten und beliebten Melange-Margarinepackung? Ein Fall von Maul- und Klauenseuche? (In diesen Zeiten, wo alle Welt pausenlos beleidigt ist, sollte ich vielleicht betonen, dass das ein Scherz sein soll. Ich will mich durchaus nicht über die Sami lustigmachen. Vielleicht ist es ja nicht einmal ein Rentiergeweih. Das wissen die Vögel, wie meine Mutter immer sagte.)
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